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Graphotypien der Serie Ars Nostra

 „Ars Nostra“ – Axel Staudingers Architekturanatomien

 

 

Am Donnerstag, den 20. Oktober 2016, eröffnete in den Räumlichkeiten der HNO-Praxis von Dr. med. Jochen Schachenreiter (Elisabethstraße 81, 8010 Graz) die Ausstellung „Ars Nostra“, in der ein völlig neuer Werkzyklus des 1961 in Graz geborenen Künstlers DI Axel Staudingers präsentiert wurde.

 

Speziell für diese Ausstellung konzipiert, spiegeln die Werke die langjährige Freundschaft zwischen dem Künstler und Dr. Jochen Schachenreiter wider. Der Titel dieser Werkschau Ars Nostra (unsere Kunst) verweist auf die gemeinsame Vergangenheit der beiden als auch auf die jeweiligen Tätigkeitsfelder – Architektur und Medizin –, die sich in den Bildern zu einer „gemeinsamen Kunst“ vereinen. Bereits zum zweiten Mal stellte Axel Staudinger in diesen Räumlichkeiten aus. Die erste Präsentation fand am 25. März 2004 im Rahmen der damaligen Praxiseröffnung statt. Damals wurden u.a. Werke des Künstlers gezeigt, die es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht hatten, die gemeinsame Freundschaft zu verdeutlichen. Mittels eines farbigen Körperabdruckes wurde der Händedruck zwischen Künstler und Arzt auf die Leinwand gebannt. Dabei stand allerdings weniger das ästhetisch abstrahierte Endresultat der farbigen Flächen im Vordergrund, als vielmehr das Festhalten eines flüchtigen Augenblicks, des Gefühls der Berührung. Durch die künstlerische Transkription des Körperkontaktes auf das Bild wurde dem intimen Moment insofern Dauer verliehen, als dass er nun als visuelle Erfahrung wiedererlebbar wurde.

 

Das bereits in der Schulzeit geweckte künstlerische Interesse Axel Staudingers bekam den ausschlaggebenden Impuls durch ein Schlüsselerlebnis im Kunsthaus Zürich, wo Staudinger während der damaligen Studentenunruhen, mit Giacomettis Femme debout (und weiteren Werken Giacommettis) zusammentraf, was seine Entscheidung für seinen weiteren Werdegang maßgeblich beeinflusste. Es folgte das Studium der Architektur an der technischen Universität Graz (Abschluss 1999) sowie ein umfassendes künstlerisches Schaffen, das sich unter anderen aus Acryl-, Tempera- und Ölgemälden, Skulpturen und Plastiken (Bronzegüsse, Leuchtkörper), Druckgraphiken, als auch Lyrik und theoretische Auseinandersetzungen zu Themen seiner Kunst zusammensetzt. In verschiedenen Zyklen erarbeitet, entstanden in der Frühphase lebensgroße Gipsakte sowie als primitiv kubistisch eingeordnete Linoldrucke in ausdrucksstarken Farben. Es folgten Atelierporträts, entindividualisierte Kopfbilder, erotische und sexuelle Bilder, Beziehungsbilder sowie Landschaften und Stadtansichten, um nur einige der Zyklen zu nennen.

Trotz der zahlreichen unterschiedlichen Themen, ist als wiederkehrendes Motiv der Mensch und der Raum, beziehungsweise der Mensch im Rau im Oeuvre Staudingers festgelegt. In seinen Sesselbildern muss sich die menschliche Figur unter der Abhängigkeit subjektiver Empfindung einfügen und läuft Gefahr der engen Umgebung zu entwachsen oder in der zu drückenden Umgebung zu schrumpfen. Im schlimmsten Fall verliert sie den Halt und stürzt vom Sessel (der eigenen Lebenswelt).

 

In der Ausstellung Ars Nostra ist Axel Staudingers Interesse an Architektur, Medizin und Kunst verbunden. Der Gedanke den menschlichen Körper als Architektur, oder Architektur als organischen Körper aufzufassen, ließ sich jedoch bereits in Staudingers frühem Versuch finden, den Menschen als Gebäude darzustellen. Gibt es schließlich „keine bessere Möglichkeit einen Menschen darzustellen als den Betreffenden zu bauen“ (Zitat Staudinger).

Auch Staudingers Architekturanatomien (2004-2014), in denen der Künstler architektonische Besonderheiten istrianischer und norditalienischer Städte „wie ein Anatom“ herauspräparierte, folgten der Thematik.  Als Erweiterung ist schließlich die Verknüpfung der Architektur mit dem weiblichen Akt beziehungsweise dem weiblichen Porträt (Portät Skizze 2008-2015) zu sehen.

 

In den hier gezeigten Grafiken erhält der Begriff der Architekturanatomie allerdings einen neuen, zu einem Höhepunkt getriebenen Sinn. Der Begriff der Anatomie setzt sich aus dem Altgriechischen ἀνά (aná) „auf“ und τομή tomé „Schnitt“ zusammen (Aufschnitt) und hat die Aufgabe, den Aufbau von Organismen zu erklären. Die Architektur verfährt kaum anders, in dem sie den Aufbau von Gebäuden lehrt, die ebenso in Grund- und Aufrisse „seziert“ werden können. Die enge Verbindung ergibt sich nicht zuletzt durch das in beiden Wissenschaften erforderte Raumverständnis. Als Beispiel seien in diesem Zusammenhang die in früheren Zeiten eingesetzten anatomischen Modelle im architektonischen Lehrbetrieb genannt, die dazu dienten Körper und Raum zu exemplifizieren.

 

Die in den Grafiken gezeigten Grund- und Aufrisse (aus Valva), werden von gezeichneten oder fotographischen Innenräumen als auch von den anatomischen Detailfotos in mehreren Ebenen überlagert. Die mittels eines speziellen und selbstständig entwickelten chemischen Druckgraphikverfahrens (der Graphotypie) hergestellten Bilder greifen auf eigene architektonische Pläne und Zeichnungen sowie medizinisch-anatomischen Fotografien zurück. Als Ausgangsbasis für die collagenhaft wirkenden Graphiken diente Staudingers Diplomarbeit „Ärztewohnhaus mit Ordinationen für Valva“, die sich an diesem Beispiel der Renovierung, Sicherung, Rekonstruktion und Revitalisierung von erhaltenswerter Bausubstanz in Erdbebengebieten annahm. Die anatomischen Fotographien stammen aus Walter Thiels „Photografischen Atlas der praktischen Anatomie. In einigen Bildern wurde ein Möbeldesignprospekt von 1973 verwendet, der einen Bezug zu Staudingers Vater, der als Innenarchitekt tätig war, aufweist.

 

Während die ersten Werken des Zyklus zwei bis maximal drei Ebenen übereinander liegen und das anatomische Detail in die Architektur sozusagen eingeschrieben wird,  ist es bei wenigen Ausnahmen die Architektur, in die nun die anatomische Photographie eingegliedert wird.  Zu einer Verwischung der Grenzen kommt es in den nur etwas später entstandenen Werken dieser Reihe. Auf- und Grundrisse, architektonische Zeichnungen werden nun von Fotos der dazugehörigen  Häuser aus Valva ergänzt. Diese erzeugen mit den Anatomien eine Häufung und Verdichtung der Elemente. Waren Architektur, Raum, und Körperanatomien in den zuerst erwähnten Bildern noch klar differenzierbar, verschmelzen die Details schließlich immer mehr, bis sie zu einem einheitlichen Ganzen werden, das vom Betrachter nicht mehr in verschiedene Ebenen unterteilt werden kann.

 

Der Eindruck einer untrennbaren Verbindung wird durch das graphische Verfahren sowie die eingesetzten Farben zusätzlich verstärkt. Die Bilder erhalten ihre Farbe durch die Anatomiedetails, die je nach Ausführung in rötlichen oder (als Kontrastfarbe) in grünlichen Tönen erscheinen und die schwarz-weiß gehaltenen Architekturpläne überlagern, ohne sie zu verdecken. Architektur und Anatomie werden eins und symbolisieren was sie sind: eine wahrhaft verwirklichte Ars Nostra.

Text von Johanna Aufreiter       Wien, 2016

 

Über die Graphotypie:

Die 2004 von mir erfundene und seither ständig weiterentwickelte

Drucktechnik der Graphotypie , hat rein technisch Anteile von

Monotypie, Lithografie, Fotografie und Grafik. Das Druckverfahren hat aber

nichts mit Computerdruck zu tun und es wird auch keine Computertechnik

dabei verwendet. Die Blätter dieser Serie sind Unikate. Gedruckt wird auf 350g

BFK-Rives handgeschöpftem Büttenpapier.

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