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Bronzeskulpturen

Gedanken zu den Morpheus-Bronzeplastiken

 

All diese, wie frühembryonale Zellhaufen aussehenden Kugeln sind mir, während meiner Teilnahme an der 8. Künstlerklausur der SAF, im Traum erschienen und wurden danach    dort auch von mir plastisch umgesetzt. In diesem Traum konnte ich beobachten, wie eine dieser Urzellen wieder eine andere gebiert. Wie Hände aus ihnen herauswachsen um sich mit den Händen der anderen, sich ständig teilenden und reproduzierenden, Zellhaufen zu verbinden. Alle diese Skulpturen sind also Momentaufnahmen – wie Blitzlichter – eines dynamischen Prozesses.

 

 Im Katalogtext zur Ausstellung der 8.Künstlerklausur formulierte

 es Mag.Dr.Erwin Fiala so:

Mit Axel Staudingers „Erdkugeln“ tauchen wir in eine ironisch-spielerische Welt ein, die den blauen Planeten Erde zunächst auf eine „blaue Kugel“ reduziert – bestehend aus einer mit PET-Flakes ummantelten Glaskugel, die von innen „erhellt“ wird und kristallin in gebrochenen Lichtspektren schillert. Diese Erde wird zu einem fluoreszierenden Diamanten in der schwarzen Einöde des Weltraums. In dieser Art bildete sich auch das Bild unseres blauen Planeten seit den ersten Farbaufnahmen aus dem Weltall – der Mensch musste erst die Erde verlassen, um die faszinierende Schönheit des Planeten zu erkennen. Dieses Ereignis, die Erde plötzlich aus der „Kälte“ des Weltalls zu sehen, bedeutet bis heute ein nur als „Schizophrenie“ zu bezeichnendes Bewusstsein des Menschen: Einerseits erwies sich die Erde als „verlorener“ Planet unter Millionen anderer Gestirne – andererseits zeigte er sich als einziger „belebter“ Himmelskörper. Bis heute ist sie für das Bewusstsein des Menschen sowohl eine unfassbare „Ausnahme“ wie auch Sinnbild einer absoluten „Verlorenheit“. Getrieben von dieser ambivalenten Erkenntnis versuchen wir einerseits, immer weiter in den Weltraum vorzudringen – also die Erde immer mehr zu verlassen – wie auch gleichzeitig zu ihr „zurückzukehren“, d. h. sie in ihrer „Schönheit“ zu bewahren. Wie nannte es der Philosoph Ernst Bloch? „Wir Ptolemäer kehren wieder zur Erde zurück.“ Damit bezeichnete er die scheinbar paradoxe Rückkehr zu einem geozentrischen Weltbild – auch wenn der Planet Erde nicht im Zentrum des Sonnensystems ist und sich im Gegenteil um die Sonne dreht, so ist sie doch gleichzeitig das Zentrum, das heißt der Mittelpunkt für den Menschen und das Leben!

 

Wie in mittelalterlichen Darstellungen, in denen der Mensch seinen Kopf über die Welthemisphäre hinaus in das reine Nichts steckte, entragen Köpfe und Beine dieser PET-Flakes-Kristallkugel, deren schillernde Lichtspiele sich bezeichnenderweise dem Kunststoff-Müll unserer Tage verdanken. Scheinen Köpfe und emporgestreckte Arme aus der Erdkugel „springen“ zu wollen, so lassen die in die Kugel eintauchenden Beine gleichsam einen „Kopfsprung“ zurück auf bzw. in die Erde vermuten. Letztlich sind diese Figuren aber hilflos Ertrinkende – im „Gold der Chemie“, wie Axel Staudinger unsere Plastik-Wunderwelt nennt.

Katalogtext zur Prallel-Vienna 2020 verfasst von Mag. Ina Hof

 

​Die drei Bronzeskulpturen von Axel Staudinger „Morpheus 7“, „Morpheus 8“ und „Morpheus 10“ sind hingegen tatsächlich aus metallischem Material, und, wie der Name schon sagt, seinem Traum entstiegene Formen.
Man könnte meinen sie tragen als „Urzellen“, oder immerhin noch pluripotente Zellen im Stadium der Morula, eine Unzahl unterschiedlicher Entwicklungsmöglichkeiten in sich.
Doch die gezeigten Zellskulpturen formen sich ja bereits aus ausgereiften Menschen(teilen) und so tut sich, in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen unserer Zeit, die Frage nach dem Potential dieses kollektiven Haufens, den wir selbst mitbilden, auf.


Das plastische Werk


Neben der Beschäftigung mit Malerei arbeitet Axel Staudinger kontinuierlich im plastischen Bereich.
Ausgehend von Wachs- oder Gipsmodellen entstanden einige Bronzegüsse, wobei die frühen Werke unter dem direkten Einfluss von Alberto Giacomettis Arbeiten stehen.
Doch schon bei diesen Figuren zeigte sich das sich späterverselbständigende Prinzip von historischem Vorbild undeigenständiger Um- bzw. Weiterentwicklung.
Man könnte es einen Dialog nennen, in welchen der Künstler mit seinen Vorgängern tritt.
Ein Dialog welcher sich nicht in der direkten persönlichen Kontaktaufnahme vollzieht, sondern welcher sichin der Aufnahme und Verarbeitung bereits vollzogener Konzepte und deren formaler Auflösung in Axel Staudingers Arbeit manifestiert.
So ist die Reihe von kleinen Bronzen welche weibliche Kör-per, torsohaft ohne Arme und teilweise auch Kopf zeigt, zwaraufgrund ihres proportional ähnlich gestalteten Verhältnisseszwischen Körper und Sockel ein auf den ersten Blick erkenn-bares Giacomettizitat.
Die Behandlung der kleinen Figürchenselbst erinnert jedoch viel stärker an prähistorische Fundevon verehrten Naturgottheiten.
Eine bei wenigen Stückenvorgenommene bunte Fassung einzelner Körperpartiennimmt den Bronzen ihre Weihehaftigkeit und erinnert stark andie Farbigkeit der Holzplastiken der deutschen Expressionistender ersten Stunde wie z.B. Ernst Ludwig Kirchner.
Ging Giacometti immer verstärkter dazu über die Körperlichkeit seiner Figuren durch möglichste Reduktion an Massezurückzunehmen, indem er diese von den Beinen aufwärtslängte, erfolgt dieser Kunstgriff bei einer Reihe von kleinerenBronzegüssen bei Axel Staudinger gerade an der Halspartie.
Diese „Langhälse“ anerkennen das künstlerische Prinzip desSchweizer Vorbildes, erfahren zugleich aber eine eigeneAusprägung desselben und erscheinen wie eine weitere Variante.
Die Plastik „Männer und Frauen einen Platz überschreitend“von Giacometti erfährt ihre Neuinterpretation indem die Figurenbei Staudinger voneinander abgewandt, sich nicht beimDurchschreiten des Platzes vorfinden, sondern gerade imBegriffe sind, von demselben im nächsten Schritt abzustürzen.
Toccata und Fuge, Thema mit Variation oder aufgegriffenes Leitmotiv könnten als Vergleiche zwischen GiacomettisPlastiken und denen Staudingers herangezogen werden.
Im Gegensatz zum großen Vorbild scheinen die Figürchen AxelStaudingers sich eher bewusst ihrer Körperlichkeit zu erfreu-en.
Sie durchmessen nicht allein den Raum ohne dass einGrund außerhalb der künstlerischen Bewältigung desRaumproblems gegeben ist.
Vielmehr interagieren sie wiejenes Paar, bei welchem sich der Mann eiligen Schrittes undmit sichtbar erigiertem Penis auf die ihm gegenüberstehendeFrau zubewegt.
Oder sie balancieren waghalsig auf langenStangen oder halten sich gerade noch im Gleichgewicht aufeinem sich aufbäumenden Pferd.
Oftmals steht der weibliche Akt im Mittelpunkt des plastischen Interesses.
Doch nicht das gängige SchönheitsidealDes  gertenschlanken, knabenhaften Mädchens, sondern diein ihrer Leiblichkeit die weiblichen Formen besonders her-vorkehrende Frau, auch in der Schönheit des schwangerenLeibes, wird thematisiert.
Einen besonderen Platz nimmt wohl jene Plastik ein, welchein Zusammenhang mit der Serie der Sesselbilder entstand.
Ein auf einem zur Figur überproportional großen Sesselsitzender Torso, welchem zudem auch der linke Unterschenkelfehlt.
Ganz an den vorderen Rand des Sessels ist diese Figurgerückt, und obwohl körperlich reduziert, drückt sie dasGefühl des Menschseins in einer Grenzsituation vollkommenaus.
Sie ist nicht im Begriffe sich zu bewegen oder irgendeineArt von Bewegung auszudrücken, doch aufgrund ihrerPosition auf dem Sessel teilt sie dem Betrachter eine ganzeReihe von Befindlichkeitsmomenten mit.
So erscheint sieuns ungeschützt und doch stark in ihrer Erscheinung.
Siewirkt verletzbar und zugleich wehrhaft.
Obwohl sie ohneeine ganze Reihe kunsthistorischer Vorbilder wohl nicht hättegeschaffen werden können wirkt sie gänzlich solitär undbehauptet sich als originäres Kunstwerk, bei welchemVergleiche mehr stören und schaden als nützen.
In direktemZusammenhang mit den Sesselskizzen und Ölbildern setztdiese Plastik Staudingers das Konzept eines bestimmtenseelischen Wahrnehmungsmomentes in dieDreidimensionalität  um.
Mehr noch als in den Bildern des Künstlers kommt dieunbefangene Körperlichkeit in den Plastiken zum Tragen.
DerLeib, beiderlei Geschlechts, wird spielerisch verfremdetaber stets lustbetont behandelt. Ob reduziert auf dasMindestmaß von noch erfahrbaren Körpern, oder prall und vollersinnlicher Merkmale, er transportiert stets Lebenslust und istweit davon entfernt das „ecce homo“-Motiv der leidendenMenschheit aufzugreifen.


Text: Werkmonografie von 1997, verfasst von Dr. Michaela Preiner​​
 

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